Kultur des Alltags. Das Haus

Dank der geschriebenen Geschichte aber auch aufgrund intensiver Grabungen ist es heute möglich, sich ein nahezu lückenloses Bild von den Wohnverhältnissen der Völker Zentralasiens über einen Zeitraum von mehreren Tausend Jahren zu machen. Ob es die Siedlungen in Altin Tepe aus dem 3.Jahrtausend v. Chr. waren oder eine Wohnmauer-Siedlung, wie die von Kjuseli-Gir (5.Jh. v.Chr.), die herrschaftlichen Hauser von Afrasiab aus der Zeit um Christi Geburt oder die Stadt Pendschikent, die von den Arabern Ende des 8. Jh. zerstört wurde – überall lasst sich nachweisen, dass die in Zentralasien siedelnden Völker und Nationen stets darum bemüht waren, sich nicht nur eine schätzende Bleibe zu schaffen, sondern einen Raum, der es ihnen ermöglichte, auch eine gewisse Lebensqualität  zu entwickeln. Nicht zu übersehen sind natürlich gewisse Unterschiede hinsichtlich Aufbau und Ausstattung eines Wohnhauses z. B. aufgrund des sozialen Gefälles, andererseits aber lassen sich auch viele Beispiele aufzeigen, die deutlich machen, wie groß der Einfluss von außen war, dem die Bevölkerung – auch durch die Kontakte über die Große Seidenstraße – ständig ausgesetzt war.

Mit dem Islam veränderte sich das Leben in den Städten und Gemeinden, erwuchsen neue Anforderungen an die Gesellschaft und damit an jeden einzelnen. Nicht selten änderte sich auch die Einstellung bestimmter Gruppen und Schichten gegenüber dem Erwerb vom übermäßigem Reichtum und aufwendigem Privatbesitz – eine Frage, deren Antwort nicht ohne Konsequenzen auch für den Bau von Häusern und Wohneinheiten bleiben konnte.

Neben den öffentlichen Gebäuden religiösen oder profanen Charakters wirkte das Wohnhaus einer islamischen Familie von außen anspruchslos und ärmlich. Gewöhnlich war das private Anwesen, in dessen Zentrum sich ein geräumiger Hof befand, von einer fensterlosen Mauer umgeben. Die Wohnräume – ein Empfangsraum (selamlik), der den Männern zur Verfügung stand, Zimmer für Frauen und Kinder (harertilik – das für fremde Männer verboten ist) – sowie die Wirtschaftsräume waren stets zum Hof hin ausgerichtet, wo sich das Leben der Familie während des Tages abspielte. Hier im Wohngarten steht seit jeher ein Sufa, ein etwa 50 cm hohes und 2 x 2 m großes, mit Matten oder Teppichen belegtes Podest, auf dem man isst und sich ausruht. Nicht nur auf dem Land, auch in einer Großstadt wie Taschkent oder in Buchara kann man neben modernen, mehrgeschossigen Wohnsiedlungen typisch orientalische Altstadtviertel mit privaten Wohnhäusern finden, die etwas vom herkömmlichen Lebensstil der zentralasiatischen Bevölkerung ahnen lassen.

Die Behausung der Nomaden hingegen war – und ist es weitgehend auch noch heute – die Jurte, das Rundzelt, das aber entsprechend seiner Bedeutung (Jurt-Vaterland, Heimstatt) mehr war als nur Dach über dem Kopf. Seit Jahrhunderten in Gebrauch, erwies sich die Jurte in jeder Beziehung als nahezu vollkommen. Benötigt wurden zu ihrem Aufbau lediglich Holz und Filz. Auf dem Boden stehende Holzstangen – mindestens vier, die an ihrem oberen Ende miteinander verbunden waren – bildeten die Kuppel des Zeltes. Mit Stangen verknüpft wurden 1-2 m hohe Scherengitter aus Birken oder Weidenholz, die das Rund des Zeltes bildeten. Dieses leicht auf und abzubauende Gerüst wurde mit wasserabweisenden Filzdecken verschiedener Form und Große bedeckt, wobei eine Öffnung in der Kuppel als Rauchabzug diente.

Je nach Bestimmungszweck ließ sich der Innenraum der Jurte, deren Boden mit Teppichen ausgelegt war, durch mobile Raumteiler – gewebte Matten aus Steppengras und Wolle – in eine Arbeits – und eine Wohnhälfte untergliedern. Alles was dem täglichen Bedarf diente – Taschen zum Aufbewahren der Kleidung. Truhen für das Geschirr, Satteltaschen, Werkzeuge und Waffen – hatte seinen festen Platz. Ausgeschmückt wurde die Jurte mit Filzdecken – reich dekoriert mit Blumenmustern, Tiermotiven, Arabesken – sowie mit geknüpften und/oder bestickten Teppichen. Die Jurten, die sich auf Lasttieren oder Wagen leicht transportieren ließen, hatten einen Durchmesser von etwa 6 m und konnten bequem innerhalb einer Stunde aufgebaut werden, eine Aufgabe, die in der Regel den Frauen überlassen wurde. Und während die Viehzüchter und Hirten ihre Herden durch die weiten Steppen Zentralasiens begleiteten, versorgten ihre Frauen – als Herrin ihrer Jurte – den Haushalt und widmeten sich der Erziehung der Kinder oder machten Handarbeiten wie Teppichknupfen, Filzwalken und Trachtenstickerei.