Ornamentik

Bereits die ersten, in der Steinzeit gefertigten Krüge und Schalen zeichnen sich durch einen wenn auch einfachen und anspruchslosen Dekor aus, der aber von Generation zu Generation abgewandelt und vor allem verfeinert wurde. Nicht selten waren es daher die dekorativen Kompositionen, die den eigentlichen Reiz eines Objektes ausmachten und einen Zylinder förmigen Behälter zur Vase und eine einfache Mauer zur sprechenden Kibla Wand erhoben.

Und so waren auch die islamischen Baumeister vor die Aufgabe gestellt, allein durch die Dekoration z. B. der Doppelfunktion einer Moschee gerecht zu werden: Einerseits sollte sie nämlich der umhegte und umfriedete Raum sein, in dem sich der Gläubige mit Allah eins wusste. andererseits war die Moschee als Platz des Gebetes d e r  Ort, der am ehesten zu einem Sinnbild für die Große Allahs und die Unendlichkeit des Paradieses werden konnte. Da aber ein gläubiger Muslim zu einem Gotterlebnis nichts brauchte, außer Gottes Wort selbst, das im Koran schriftlich niedergelegt war, waren die Randbedingungen für eine besondere Ausschmückung einer Moschee eindeutig vorgezeichnet. Allein im schmückenden Ornament sollte und durfte Allahs Große und Verheißung zum Ausdruck gebracht werden: grenzenlose in sich verschlungene Muster ohne Anfang und Ende, Zeichen der Unendlichkeit, polychrome Pflanzenmotive, Sinnbilder des ewigen Paradieses, und weit gespannte Liniengeflechte arabischer Schriftzeichen – Gottes Wort.

Aufgrund von Einflüssen der Tradition und der Religion waren bereits in der Zeit des Frühislam neue, besonders ausdrucksvolle Ornamente entstanden: die geometrische Arabeske. Zu ihrer Entwicklung haben auch die Ergebnisse der exakten mathematischen Wissenschaft bewusst oder unbewusst – einen nicht unwesentlichen Beitrag geleistet. Es war eine Architektur der Geometrie, die mit Zirkel und Lineal, aber auch unter Beachtung einer strengen Logik und fundamentaler geometrischer Proportionen wie Goldener Schnitt. Tangentenkonstruktionen, Ähnlichkeit – und Kongruenzsätze (ein wahres Handbuch der Mathematik!), äußerst ansprechende und ästhetische Kompositionen von unerschöpflicher Vielfalt zu entwickeln verstand.

Grundmotiv war das Quadrat mit eingeschriebenem Kreis, aus dem durch regelmäßige Teilung symmetrische Sechs-, Acht- und Sechzehnecke konstruiert, vielzackige Sterne, strahlenförmige Gebilde und ganze Rosetten entfaltet oder zu einem komplexen Netz polygonaler Figuren verflochten wurden. Besonders eindrucksvoll ist, dass eigentlich jedes Detail – Teil einer weit angelegten Komposition auf Friesen, Paneelen oder Tafeln – bereits eine in sich geschlossene Einheit bildete.

Diese scheinbar besonders komplizierten, sich periodisch wiederholenden geometrischen Kompositionen – die so genannten gereh(Knoten) – lassen sich jedoch, wie amerikanische Wissenschaftler nachgewiesen haben, auf Verhältnismäßig einfache Konstruktionen zurückführen. Allein unter Verwendung von fünf »Kacheln« (Fünfeck, Sechseck, Zehneck, Rhombus und Doppelaxt) konnten auf diese Weise bereits im 15. Jh. mit Verhältnismäßig geringem Aufwand ganz unterschiedlich aufgebaute Netzwerke konstruiert werden. Die gleichen Muster wurden – aber erst 500 Jahre später – von amerikanischen Physikern auch in der Metallurgie nachgewiesen. Es ist kaum anzunehmen, dass die unter Timur und seinen Nachfolgern wirkenden Architekten und Baumeister bereits Quasikristalle gekannt und verstanden haben sollen. Oder doch? (Quelle: Peter J. Lu, Science 315, 1106-1110, 2007)

Dank des Fortschritts in der Herstellung feinster Dekors (Fayence-mosaik) war es bereits im Lauf des 13. Jh. möglich geworden, neben den rein geometrischen Formen mehr und mehr auch Pflanzenmuster, oft mit schwungvollen Rundungen, zu gestalten. Bis weit in das 15. Jh. sollten schließlich stilisierte polychrome Blumenmotive auf tiefblauem Hintergrund das vorherrschende Muster zentralasiatischer Mosaike und Fayenceplatten bilden.

Eine ureigene Schöpfung arabischen Geistes, gebildet aus pflanzlichen Motiven, entwickelt aus der Idee der Blattranke, war die vegetabile Arabeske. Die schon aus der klassischen Antike bekannten Akanthusmotive (dem Blatt einer mittelmeerischen Distelart nachgebildet) sowie Palmetten, Rosetten, Lilien, Kelch- und Fächerblumen, vor allem aber die Gabelblattranke, wurden, stark stilisiert, in der Arabeske zur Blüte und höchsten Entfaltung gebracht. Als Muster, in ihrer Vielfalt einmalig, scheint sich die Arabeske selbst fortzuentwickeln und durch Überschneidungen und Verflechtungen – hier in Spiralen, dort in regelmäßigen Wellen, bald eng verwoben, bald fein herausgehoben – über sich hinauszuwachsen, um selbst Flachen Großer Ausdehnung mit verspielter Leichtigkeit aufzulösen und ein Bild «ewiger Gluckseligkeit» entstehen zu lassen.

Schriftornamente: Wie geschaffen für ein geometrisches Ornament erwies sich die arabische Schrift, die in ihrem steilen (k u f i -) und runden (n a s k h i -)  Duktus – einer leicht erlernbaren und flüssig von rechts nach links zu schreibenden Kursivschrift – oder auch in ihrer besonderen kalligraphischen Form ( t h u l u t h )  hervorragend und elegant mit der Geometrie verknüpft werden konnte. Es lag daher sehr nahe – gleichsam als Ersatz für ein in jedem Falle doch nur irreales Abbild Gottes -Teile des Korans (Gottes Wort) in ein Ornament miteinzubeziehen. Und bald waren es ein Segensspruch, ein Lobpreis Gottes, ein Vers aus dem Koran oder Hadith oder einfach nur die Namen Allah und Mohammed, die zu schmückendem Beiwerk wurden. In Verbindung mit Pflanzenmotiven entstand schließlich noch das sogenannte Blütenkufi und – aufgrund zusätzlicher Verzierungen und Ausschmückungen – das Flechtkufi.

All diese Ornamente blieben natürlich nicht nur auf den Architekturdekor beschränkt, sondern sie erfreuten sich in der gesamten islamischen Kunst höchster Wertschatzung: in der Keramik, z. B. bei der Verzierung von Tafelgeschirr und Vasen. in der Textiltechnik als Teppich- und Stoffmuster, auf Geräten aus Holz und Metall, insbesondere aber bei der Herstellung edelster Miniaturen.