Nomaden und Sesshafte

Mitte des 1. (ahrtausends v. Chr. wurde Zentralasien einerseits von sesshaften, Ackerbau betreibenden Stammen bewohnt, andererseits aber auch von Steppennomaden, die als Jager und Viehzüchter ein verhältnismäßig primitives Leben führten. Die an den Flussmündungen und in den Oasen siedelnden Stämme betrieben unter Ausnutzung der natürlichen, aber auch schon der künstlichen Bewässerung eine intensive Landwirtschaft, gründeten Städte, bauten Festungen und entwickelten eine Kultur, die über Jahrhunderte hinweg ihre Eigenständigkeit bewahren konnte. Ihre wichtigsten Siedlungsräume waren: Choresm am unteren Amu Darja. Sogd im Sarafschan- Tal und Baktrien am oberen Amu Darja.

Nicht selten gaben aber auch sesshafte Bauern den Ackerbau auf und widmeten sich nur noch der Viehzucht, um sich so den naturbedingten Gegebenheiten der Steppe besser anpassen zu können – sie wurden Nomaden. Ihre Herden, Schafe, Pferde, Ziegen und Trampeltiere, die die ökonomische Grundlage ihres Lebens bildeten, führten sie mit Beginn des Frühjahrs durch die Steppen, während des Winters aber in die Berge des Altai, wo die über die Schneedecke herausragenden Doldengewächse immer noch ausreichend Nahrung

boten – ein Grund. dass gerade die Gebirge im Norden Zentralasiens zu Brennpunkten der Nomadenreiche wurden. Ihre Lebensformen unterschieden sich von Gebiet zu Gebiet und änderten sich auch immer wieder im Laufe der Jahrhunderte. In völliger Abhängigkeit vom Klima, den gegebenen Weideplatzen und von ihren Tieren lebten die Nomaden meist unter extrem harten Bedingungen und befanden sich in einem ständigen Kampf mit ihrer Umwelt.

Wenn auch das Verhältnis der Nomaden zu persönlichem Besitz  von ganz anderer Art war als das der sesshaften Bevölkerung in den blähenden Oasen, so fielen sie doch nicht selten über die reichen Städte und Siedlungen her. um von ihrem Luxus und Überfluss an Lebensmitteln zu profitieren. Überfalle dieser Art gehörten daher genauso zum Alltag der Nomaden wie das Handeln und Feilschen

auf den Basaren, von dem beide Seiten ihren Gewinn hatten: Tiere und Tierprodukte wie Wolle, Felle und Filz wurden gegen Getreide und Metallwaren, Pferdegeschirre und sonstige Gebrauchsgegenstande eingetauscht. Dadurch aber, dass sie ständig unterwegs waren, entwickelten die Nomaden auch eine eigene Kultur. Nicht in der Baukunst oder Malerei – wie bei den Sesshaften, sondern in der Herstellung, Ausschmückung und Verzierung ihrer Gebrauchsgegenstände zeigte sich ihre handwerkliche und künstlerische Gestaltungskraft. Ihre Religion fanden sie im Glauben an eine von Geistern beherrschte Welt, in ständiger Angst lebend vor den unerklärbaren übernatürlichen Kräften der Schamanen, den Mittleren zwischen ihren Toten und der Welt der Geister.

Wiederholt haben diese Nomadenstamme. die sich besonders durch kriegerisches Können, aber auch durch Taktik und Mut auszeichneten, den zentralasiatischen Raum durchzogen. In besonderer Weise fühlten sie sich dem Schutz der Karawanen verpflichtet, die ihre Waren über die Große Seidenstraße durch die Steppen und Wüsten von Oase zu Oase brachten. Indem sie den Karawanen ihren Schutz anboten, erhielten sie hinreichend Mittel, um Waffen und wichtige Güter kaufen zu können. Bis in das spate Mittelalter kämpften sie mit Bogen und Lanze und erwiesen sich fast immer als die Starkeren, da sie sich, wenn die Gefahr es erforderte, praktisch in den leeren Raum zurückziehen konnten. Trotzdem war es nicht selten, dass Nomaden ihre unstete Lebensform aufgaben, sesshaft wurden und sich in die gegebene Zivilisation integrieren ließen.

Von den in Zentralasien lebenden Nomadenstammen indogermanischer Herkunft erlangten zwei skythische Stamme eine besondere Bedeutung – die Massageten, die das Gebiet um den Aralsee besiedelten, und die Saken, deren Territorium im Osten des Aralsees lag und sich bis in die Steppe Kasachstans erstreckte. Im Norden, von Ostturkestan über den Aralsee und das Kaspische Meer bis weit nach Europa, war im Laufe des 8. und 7.Jh. v. Chr. ein Reich entstanden, das hinsichtlich seiner Ausdehnung im euroasiatischen Raum einmalig war: das Sakenreich.

Sein Zentrum befand sich (etwa 50 km östlich von Almaty) bei lssyk-Kurgan. Hier wurde im Jahr 1961 ein Grabhügel ( k u r g a n ) von 6 m Hohe und 60 m Durchmesser entdeckt und ergraben. Neben 31 Tongefäßen und 4000 bearbeiteten Goldplatten und -Plättchen – Funde aus der ersten Hälfte des 4. Jh. v. Chr. – waren eine Art Krone, eine spitz zulaufende, mit Goldbesatz verzierte Mütze, sowie eine kleine Silberschale von besonderem Interesse. Die Schale enthielt eine Inschrift von 26 Schriftzeichen, die der alttürkischen, aber tausend Jahre jüngeren, Runenschrift sehr ähnlich sind. Bis heute gilt diese Inschrift, das älteste schriftlich fixierte Dokument in Zentralasien, als unübersetzbar. Aufgrund der Funde von lssyk-Kurgan vermutet Hayit, dass der Herrscher der Saken ein Türke gewesen sein muss, verwendete doch keine andere Völkergruppe in Turkestan türkische Schriftzeichen. Die Saken, die die Choresmier und Sogder als ihre Nachbarn akzeptierten, waren es schließlich auch, die mit den Massageten den Angriffen der Achämeniden und Griechen erbitterten Widerstand leisten sollten.

Obwohl die im Norden Zentralasiens siedelnden Saken als  Nomaden bekannt geworden sind, lassen die im Gebiet zwischen Aralsee und Syr Darja erfolgten Ausgrabungen vermuten, dass hier, wo ausreichend Ackerland zur Verfügung stand, Dorfer und später sogar Städte angelegt wurden, in denen im 4,-2. Jh. Paläste und Grabmaler von ungewöhnlichen Abmessungen entstanden – Vorbilder, auf die nicht nur die zentralasiatische Architektur immer wieder zurückgegriffen hat. Während die ersten Gräber der Saken offensichtlich eine zu Stein gewordenen Nachbildung ihrer Jurten (der leicht zu transportierenden Wohnzelte nomadisierender Steppenbewohner) waren, zeigen sowohl die Kurgane aus dem 10.-8.Jh.v. Chr. als auch die Mausoleen aus dem 4.-3. Jh. v. Chr. – zum Beispiel in Balandy – recht deutlich die Entwicklung vom einfachen Kuppelgrab über die Kuppelhalle bis zum Turmmausoleum und Kreuzkuppelpalast.

Für die kulturelle Entwicklung Zentralasiens waren die Saken und ihr besonders ausgeprägtes Kunstverständnis nicht nur im Bereich der Architektur, sondern auch auf dem Gebiet des Kunstgewerbes zweifelsohne von Großer Bedeutung. Andererseits waren es aber auch Saken, die auf ihren nicht immer friedlich verlaufenden Wanderungen die Lebensgewohnheiten und das Kunstschaffen anderer Völker und Stamme schicksalhaft beeinflusst haben.

Mitte des 1. Jahrtausends v. Chr. gab es in den Oasen zwischen den Bergketten des Tienschan und den Ufern des Kaspischen Meeres mehrere Siedlungsraume, die sich wie eine Kette durch die Wüsten und Steppen beiderseits des Amu Darja hinzogen. Zu den Ansiedlungen, für deren kulturelle Entwicklung sich aufgrund des gefundenen Materials zeitlich eng umrissene Perioden festlegen lassen, zahlen insbesondere die im Bereich des Murgab-Deltas in Turkmenistan (Margiane), des Karfirnigan in Süd Tadschikistan (Baktrien), des

Sarafschan in Usbekistan (Sogd) sowie am Unterlauf des Amu Darja (Choresm).

Zu den bedeutendsten Denkmälern der archaischen Margiane ist Jas Tepe zu rechnen, eine 16 ha Große, mit einer mächtigen Zitadelle gekrönte Stadt, die einmal (9.-7. Jh.v.Chr.) Hauptstadt der ganzen Margiane war. Im 6.-4.Jh. v. Chr. bildeten in der Flussoase des Murgab Erk Kale. Giaur Kale und Merw (4) – drei ineinander geschachtelte städtische Siedlungen mit sehr ausgedehnten Vororten – das Zentrum dieser Region. Achämeniden und Griechen haben sich dieses Landes bemächtigt, die Stadt weiter ausgebaut und mit Mauern umgeben, um sie vor den berüchtigten Nomaden zu schätzen, aber auch vor dem alles zudeckenden Sand der Karakum.

Nach den Griechen herrschten die Parther über die Margiane, und es war Sanabaras, der letzte parthische König, der sich für den Ausbau und die Sicherheit dieser dichtbesiedelten Metropole einsetzte. Durch Merw, das  Handels- und Handwerkerzentrum seiner Zeit schlechthin, führte die Große Seidenstraße, auf der auch die für Rom so wertvolle Seide transportiert wurde, für die die Parther ein Handelsmonopol hatten. In Erinnerung geblieben ist Sanabaras vor allem dadurch, dass er Unmengen Silber- und Bronzemünzen mit

seinem Porträt in Umlauf bringen ließ. Irgendwann verwischen sich jedoch die Spuren der alten Margiane, weil andere Völker über sie hinweggegangen sind. Was blieb, sind Ruinen gewaltigen Ausmaßes, z. B. in Merw ausgegraben, gesichert, teilweise sogar rekonstruiert und der Öffentlichkeit zugänglich gemacht – auch, um alte Geschichte nachempfinden zu können.

Am Oberlauf des Oxus, im Nordosten des alten Persien – heute Afghanistan – lag die historische Landschaft Baktrien mit ihrer Hauptstadt Baktra oder Balch, die wie ihre Schwesterstadt Merw von einer langen Mauer umschlossen war. Trotz seiner Randlage im Süden spielte Baktrien, das, wie alte Quellen berichten, eng mit der Margiane verbunden war, in der Geschichte der zentralasiatischen Völker keine unwesentliche Rolle. Besiedelt wurde Baktrien nachweislich schon in der Altsteinzeit (Teschik Tasch), und Funde sowohl aus der Eisenzeit als auch der Bronzezeit bestätigen, dass baktrische Kunst und Kultur nicht erst mit der Eroberung durch die Achämeniden begonnen hat. Im 3. Jh. wurde Baktrien von den Griechen annektiert und so stark in die neue Welt integriert, dass die Geschichte seit 230 v. Chr. von einer gräko-baktrischen Zeit sprechen konnte. Hier in Baktrien, wo sich auch eine der Hochburgen des Zoroastrismus befand, konnte sich unter dem Einfluss des Buddhismus eine Kunstrichtung entfalten, die, in Gandhara entstanden, unter den Kuschan zur höchsten Blüte geführt werden sollte. Wichtig für das Werden und Wachsen einer gräko-baktrischen Kultur waren natürlich auch die Handelsbeziehungen über die Große Seidenstraße, die die Region mit der gesamten bekannten Welt verbanden und hohe Gewinne einbrachten. Im Lauf des 2.Jh.v.Chr. endet mit dem Einfall mehrerer Nomadenstamme – u.a. der Saken – die gräko-baktrische Periode. Die Kuschan waren es, die «Herrschaft der sieben Könige», die zu Erben dieser Region «diesseits des Oxus» avancieren sollten.

Das Kernland Zentralasiens, das «zweitbeste aller Länder», wie es in dem mehr als zweitausend Jahre alten Awesta heißt, ist Sogd, die Landschaft zwischen Amu Darja (Oxus) und Syr Darja (Jaxartes), in etwa das heutige Usbekistan. Besiedelt wurden die beiden Oasenlandschaften sowie die Täler des Sarafschan und des Kaschka Darja bereits im 9. Jh. v. Chr. von einer indogermanischen Völkergruppe, den Sogden. Hauptstadt des antiken Sogd war Marakanda – das legendäre Afrasiab, eine Stadt am Sarafschan (heute Samarkand). In den mit Mauern geschätzten städtischen Siedlungen entwickelte sich eine Kultur, die für die Folgezeit nicht nur für Sogd richtungweisend wurde, was unzählige Grabungen und Funde bestätigen.

Im Gegensatz zu den Dynastien der Achämeniden oder Griechen hat Sogd nie einen Großen Staat gebildet, sondern eine Vielzahl kleiner Stadtstaaten, die wiederholt zum Ziel von Invasoren wurden. 329 v. Chr. zog Alexander der Große gegen Marakanda und brachte Sogd in seine Gewalt, ein Prozess, der sich über drei Jahre hinziehen sollte. Damit hatte Sogd seine Selbständigkeit zwar für immer verloren, konnte aber trotzdem auch unter den neuen Imperatoren, die sich das Land zwischen Pamir und Aralsee streitig machten, seine lokalen Traditionen ausbauen und festigen.

Immer wieder war es aber die über weite Strecken durch Sogd führende Große Seidenstraße, die das Zentrum der damals bekannten Welt mit seiner Peripherie verband. Einen Eindruck von der einstigen Bedeutung und vom Reichtum des über Jahrhunderte währenden Ost-West-Handels können heute noch die Karawansereien – oftmals eine Ruine, nicht selten aber auch ein hervorragend restauriertes  Baudenkmal – am Rande der vielfach asphaltierten Karawanenstraßen vermitteln, oder vielleicht auch die zahlreichen Basare – Mittelpunkt orientalischen Lebens, wo wie eh und je gehandelt und gefeilscht wird.

Die Geschichte Sogds ist augenscheinlich eine unendliche Geschichte: Der Reisende kann gleichsam wie in einem Großen Geschichtsbuch blättern, wenn er nicht nur die Städte aus 1001 Nacht – Samarkand und Buchara – besucht, sondern auch längst vergessene Kulturen, wie z. B. in Afrasiab, Termes oder Warachscha.

Für Choresm (altpcrs. «gute Erde»), das Land zwischen den Wüsten Karakum und Kisilkum, hat Anfang des 8. oder 7. Jh. v. Chr. augenscheinlich eine neue Ära begonnen: der Aufstieg des choresmischen Reiches. Wo die Ursache und der Anlass zu suchen sind, Die zur Bildung dieses Reiches geführt haben, und wer als sein Stammvater angesehen werden kann, erzählen nur die überlieferten Mythen und der Sagenkreis des Awesta. Eine schriftliche Bestätigung der Zeitdokumente des Awesta findet man in den Berichten Herodots (um 450 v. Chr.) und Strabos (63 v. Chr. – 20 n. Chr.) – Informationen über das antike Zentralasien. die aufgrund der in den letzten Jahrzehnten durchgeführten Grabungen z.T. belegt werden konnten.

Das wohl beste Bild über Choresm im 7.-4. Jh. v. Chr. vermitteln die Ausgrabungen am Unterlauf des Amu Darja. Am weitesten verbreitet waren hier die Ursiedlungen mit bewohnten Schutzmauern oder auch Wohnmauer-Siedlungen. z. B. Kalaly-Gir (7) – Orte, die vermutlich von einem ganzen Stamm, d.h. von mehreren tausend Menschen, bewohnt wurden und nicht selten eine Ausdehnung von 20 ha aufwiesen. Sie waren von einer hohen, aus Großen quadratischen Lehmziegeln bestehenden Schutzmauer umgeben, in der sich Türme und Tore befanden. Unmittelbar an den Schutzwall waren Tonnengewölbe als eigentliche Wohnungen angebaut: drei parallel verlaufende, insgesamt 6-7 km lange Galerien, die einen Großen Innenhof bildeten. Als Baumaterial verwandte man luftgetrocknete Ziegel, die bereits Standardabmessungen hatten: 40 x  40 x  10 cm. Die Bevölkerung gliederte sich in drei streng voneinander zu unterscheidende Kasten: die Feuerpriester, Krieger und Bauern, und später noch – als eine eigene Kaste – die Handwerker. Den größten Reichtum einer Sippe bildete das Vieh (Rinder. Pferde, Kamele), das nicht nur in Krisenzeiten seinen Platz im Innenhof hatte, zumal Vieh Raub sehr verbreitet war. Die in Kalaly-Gir im Haus der Toten gefundenen Ossuarien (Behälter für Knochen von Verstorbenen) lassen erkennen, dass die Menschen, die hiergelebt hatten, Angehörige einer in Zentralasien weit verbreiteten Religion waren. Ihr Schöpfergott war der allgütige Mazda, ihre Religion der Mazdaismus.

Ebenso wie Baktrien geriet auch Choresm um die Zeitenwende unter den Einfluss der Kuschan und sollte in den folgenden Jahrhunderten nur eine Randerscheinung in der Geschichte Zentralasiens bleiben.