Die Integration Zentralasiens in den «Dar al Islam»

Sowohl die Zersplitterung Zentralasiens mit seinen zahlreichen Fürstentümern und die daraus resultierende mangelhafte militärische Kooperation als auch die Gleichgültigkeit breiter Bevölkerungsschichten, die wiederholt wechselnde Fremdherrschaften zu ertragen hatten, begünstigten die Bestrebungen der sendungsbewussten Araber, die alten, Großen Kulturländer zu erobern und dem islamischen Herrschaftsbereich (dar  al  Islam)  einzuverleiben.

Nunmehr waren es arabische Statthalter, die im Namen des Kalifen bald mit Gewalt, bald mit Diplomatie die neu erworbenen Provinzen im islamischen Geist regierten und nach islamischem Recht verwalteten. Wenn auch die eigentliche Bekehrung des Landes zum Islam nicht immer im Vordergrund gestanden haben muss, so ergab sie sich doch zwangsläufig durch den ständigen Kontakt der Muslime mit der Bevölkerung. Eine ganz entscheidende Einflussgroße für die Islamisierung Zentralasiens war der lebhafte Karawanenverkehr, sodass es zwangsläufig wieder die Kaufleute waren, die als Erste zu verbreitern der islamischen Religion und Kulturen wurden. Als besonders hilfreich erwies sich dabei die Tatsache, dass der Islam eine jedermann verständliche, weltumfassende und doch einfache Religion war, von der sich die Gläubigen die Glückseligkeit versprachen. Nicht gering waren auch die Missionsbestrebungen der Sufis und Derwische, die sich besonders in den Steppen um eine Verbreitung des Islam bemühten und viele Menschen bekehren konnten, indem sie als Prediger des Sufismus – einer islamisch-türkischen Mystik – nicht vom Heiligen Krieg und den himmlischen Freuden, sondern von der Sünde und den Höllenqualen sprachen.

Nicht selten griffen die Araber aber auch zu recht drastischen Mitteln, um Transoxanien in ihren Herrschaftsbereich zu integrieren. Das Land wurde zum Eigentum Gottes, d.h. seines Stellvertreters auf Erden, des Kalifen und in engerem Sinne des jeweiligen Emirs, erklärt, verpachtet und besteuert. In den wichtigsten Städten, z. B. in Buchara. wurde jeweils die Hälfte eines Hauses beschlagnahmt, wo gläubige Araber einziehen mussten, angeblich, um die Neubekehrten bei der Ausübung ihrer islamischen Pflichten besser beaufsichtigen zu können. Andererseits wurden aber die Neubekehrten entgegen den Versprechungen nicht von der Kopfsteuer befreit, im Gegenteil: Sie mussten die Hälfte der Ernte als Steuern abführen – Praktiken, die zur Folge hatten, dass die Bekehrten sich wieder ihren alten Religionen – den Nestorianern oder Manichäern – zuwandten und gegen die im Namen Allahs herrschende Regierung revoltierten. Gegenbewegungen dieser Art, wann und wo auch immer sic auftraten, wurden aber von islamischer Seite stets aufs Schärfste bekämpft und unterdrückt.

Beschleunigt wurde die Entfaltung des Islam, nachdem die Türken den neuen Glauben angenommen hatten und gemeinsam mit den Arabern zu den wichtigsten Kampfern und Trägern der islamischen Glaubenslehre und damit auch der islamischen Kultur avancierten. Zwölf Jahrhunderte lang war der Islam in Zentralasien die entscheidende Quelle jeder künstlerischen Inspiration. Während dieser Zeit griff er alte, ansässige Kulturen auf, absorbierte sie, brachte sie zu neuer Entfaltung. Bis heute geben islamische Kunst und Wissenschaft, die hier im Schnittpunkt unterschiedlicher Traditionen wachsen und zur höchsten Vollendung heranreifen konnten, Zeugnis von einer einmaligen Kraft einer Weltreligion, in der sich ein monotheistischer Glaube und eine einheitliche Sprache auch dann noch als beständige Eckpfeiler erwiesen, wenn neue Reiche, neue Fürsten und neue Eroberer das Land auf ihre Weise prägen und verändern wollten.