Das gräko-baktrische Reich (250-130 v. Chr.)

Alexanders Siegeszug von Griechenland über Persien und Indien machte auch vor den nördlichen Satrapien des persischen Reiches nicht halt. Die besetzten Gebiete sahen jedoch in der Zerstörung des Achämenidenreichs eine günstige Gelegenheit, ihre alte Unabhängigkeit zurückzugewinnen, und leisteten den griechischen Truppen erbitterten Widerstand. Alexander griff Zentralasien von Südosten heran, überschritt Oxus und Jaxartes, besiegte die Sogder unter ihrem Führer Spitamenes und zog 329 in ihre Hauptstadt Marakanda ein. Ständige Unruhen und starke Verluste in den eigenen Reihen zwangen die makedonischen Eroberer wieder zum Rückzug, und erst drei Jahre später war Alexanders Macht soweit gefestigt, dass Baktrien und Transoxanien endgültig dem griechischen Machtbereich zugeordnet werden konnten. Zur Stärkung seines Reiches ließ Alexander für seine Garnisonen Städte, befestigte Siedlungen und eine große Zahl von Bollwerken errichten und bemühte sich um ein gutes Verhältnis zur einheimischen Bevölkerung, besonders aber zu ihren aristokratischen Kreisen. Auch die Heirat Alexanders mit Roxane, der Tochter des gefangen genommenen Baktriers Oxyartes, mag als ein Zeichen der Versöhnung zwischen den unterworfenen Völkern Zentralasiens und der hellenistischen Besatzungsmacht verstanden werden.

Alexanders Bestrebungen, alle Stamme und Völkerschaften in den eroberten Gebieten zu einer sich gegenseitig befruchtenden Völkerfamilie zu vereinen, wurden durch seinen frühen Tod im Jahr 323 zunichte gemacht, und im Kampf um Alexanders Nachfolgeschaft zerbrach das hellenische Weltreich. Seleukos, einer von Alexanders Generalen und Schwiegersohn von Spitamenes, versuchte als Erster, die Ostprovinzen dem Reich zurückzugewinnen und eine Basis für eine neue Großmacht – das Reich der Seleukiden – zu schaffen. Doch bereits 70 Jahre später, etwa um 250 v. Chr., eroberten die Parther Transoxanien und vernichteten in ihrem Expansionsdrang sukzessive die griechischen Satrapien des Seleukidenreichs. Allein Baktrien gelang es für die Dauer von über hundert Jahren unabhängig zu bleiben, sein Gebiet vom heutigen nördlichen Afghanistan über das südliche Usbekistan und Tadschikistan bis nach Taschkent auszudehnen und im gräko-baktrischen Reich – dem «Land der tausend Städte» – zu vereinen.

Zahlreiche Funde geben Zeugnis von den Fertigkeiten seiner Bevölkerung im Städtebau. in der Landwirtschaft und der Entwicklung künstlicher Bewässerungsanlagen, besonders aber auch in der Herstellung von handwerklichen Erzeugnissen. Ausgrabungen, die einen Einblick in den Siedlungsbau während der griechisch-baktrischen Periode (3.-1. Jh. v. Chr.) vermitteln, befinden sich in KohneKale, einer Siedlung von etwa 250 x 125 m auf dem linken Ufer des Wachsch. sowie in Kaikobad Schah, einer Kleinstadt (385 x 285 m) am rechten Ufer des Kafirnigan, die von einer Wallmauer aus rechteckigen Ziegeln umgeben war. Sowohl die auf Ziegeln eingeritzten Schriftzeichen – darunter viele griechische Buchstaben – als auch ausgegrabene Säulensockel und korinthische Kapitelle bestätigen einen starken hellenistischen Einfluss.

Umfangreiches Material an Keramik und Terrakotten in Menschen- und Tiergestalt, das ein hohes Niveau im handwerklichen Schaffen seiner Bewohner erkennen lasst, sowie zahlreiche Münzen – oft die wichtigsten Indizien für eine zeitliche Zuordnung von bestimmten Personen und Ereignissen – wurden im Gebiet des oberen Amu Darja bei Termes im Süden Usbekistans gefunden, eine Stadt typisch gräko-baktrischer Prägung und eines der Zentren Baktriens. Denn während im Norden, in den Gebieten von Taschkent und Ferghana, die Kunst der Steppe ihren Einfluss geltend machte, konnten hier im Süden heimische und griechische Stilelemente – z. B. in der Ornamentik – eng miteinander verschmelzen, ein Vorgang, der über Jahrhunderte Bestand hatte und erst allmählich durch die aufstrebende Kuschankunst beeinflusst und geprägt wurde.

In Choresm gelten Dschambas Kale, eine rechteckig angelegte Stadt, und Koi-Krylgan Kale, eine Rundstadt, als die wichtigsten und die am besten erhaltenen Stationen aus gräko-baktrischer Zeit. -Dschambas Kale enthielt zwei durch eine breite Straße getrennte Wohnblocke, die sich in einzelne Quartiere untergliederten, welche wiederum bis zu 200 Raume umfassten. Umgeben war die Stadt, deren wichtigstes Gebäude augenscheinlich das Haus des Feuers als geistiger Mittelpunkt des kultischen Lebens gewesen ist, von zwei mächtigen, aus Luftziegeln errichteten Mauern, die auf einen Sockel aus gestampftem Lehm aufgesetzt waren. Auf der Innenseite des äußeren Walls befanden sich so viele Schießscharten, dass offensichtlich die gesamte wehrtüchtige Einwohnerschaft in der Lage war, die Stadt zu verteidigen.

Koi-Krylgan Kale entstand im 4. Jh. v. Chr. als Tempelmausoleum der choresmischen Dynastie und ist heute eine der wenigen Statten in Zentralasien, die nahezu vollständig ausgegraben werden konnten. Im Mittelpunkt der Anlage, die während ihrer Besiedlung bis in das 1. Jh. n. Chr. wiederholt umgebaut worden war, befand sich ein Ort für kultische Handlungen. Gerade die Rundstadt Koi-Krylgan Kale sollte den Parthern und Sassaniden, aber auch den Abbasiden und Seldschuken bei der Errichtung ihrer Mausoleen und Städte (Balandy. Ktesiphon, Bagdad u.a.) zum Vorbild werden.

Wie sehr die Formensprache in der bildenden Kunst durch die Griechen verändert wurde, wird beispielsweise in dem Bemühen deutlich, den menschlichen Körper naturgetreu (Faltenwurf, Haare, Muskeln) abzubilden, ebenso im Bestreben, räumliche Tiefe zu vermitteln. Aber auch in der Baukunst setzten die Griechen neue Maßstabe, indem sie den neuen Werkstoff Gips – oder besser Stuck – als Dekorationselement einführten, aus dem sich in der Folgezeit das gerade für den Orient so typische Verfahren der Fassadenverkleidung entwickelte. Denn wie zuvor schon in anderen Ländern (z. B. des Mittelmeerraumes), gab es auch in Zentralasien breite Kreise, die sich von den übernommenen Formen und Techniken freimachten, sich der neuen Denkweise und Kultur öffneten und sie sich zu eigen machten; eine Entwicklung, die dazu führte, dass die hellenisierte Kunst Zentralasiens bis heute nichts von ihrer Ausstrahlungskraftverloren hat.

Historisch gesehen war der Einbruch der Griechen in Zentralasien ein Ereignis, das für beide Kulturkreise entscheidende Veränderungen zur Folge hatte. die in der Politik, besonders aber in der Kultur über Jahrhunderte ihre Nachwirkungen zeigte. Aber nicht nur die iranische Kunst sollte ihren Ursprung im Hellenismus finden, sondern auch die der Kuschankönige, aus der sich später die sogenannte Gandhara Kunst entwickelte, eine dem Buddhismus angepasste Stilrichtung, die ihren Einfluss über Zentralasien hinaus bis nach China geltend machen konnte.