Angewandte Kunst

Es wäre verwunderlich, wenn ein Volk, das in der Lage war, monumentale Baudenkmaler zu errichten, deren Abmessungen grandios, deren Formen vollendet und deren Ausschmückung einzigartig waren, nicht imstande gewesen sein sollte, auch in der Gebrauchskunst Großes zu leisten. In den Oasen und Steppen Zentralasiens gab es jedoch nicht nur ein Volk und eine Sprache, es waren vielmehr Völker unterschiedlicher Herkunft und Entwicklung und darüber hinaus zwei Kulturen, die Sesshaften und die Nomaden, die im Wechselspiel der Kräfte aufeinander einwirkten, sowohl im positiven als auch im negativen Sinne.

Die unterschiedliche Lebensweise – hier im begrenzten Raum einer Oase, dort in der endlosen Weite der Steppe – beeinflusste auch das Kunstschaffen in allen seinen Ausprägungen. Im Lauf der Jahrhunderte entwickelten sich in nahezu allen Regionen etliche Schulen, die sich auf die Herstellung bestimmter Erzeugnisse auf hohem Niveau spezialisierten und auf diese Weise Produkte auf den Markt bringen konnten, die mehr waren als nur ein nützlicher Gebrauchsgegenstand, nämlich ein «Klein»-Kunstwerk. Während Choresm beispielsweise für seine hervorragenden Holzschnitzarbeiten bekannt war, bildeten Buchara und Samarkand wichtige Zentren für die Alabasterschnitzerei und -malerei.

An ihrer Form, an ihren Ornamenten und ihren Farben konnte man andererseits den Herstellungsort der glasierten Gebrauchskeramik erkennen: Glasierte Schalen und Teller mit hellblauen oder türkisfarbigen Pflanzenornamenten auf weißem Untergrund kamen aus Tadschikistan, während die Bemalung und Gravur in Form geometrischer Muster in Verbindung mit Pflanzenornamenten für die Taschkenter Region typisch waren. Und während die kirgisischen Filzteppiche Große, klare geometrische Formen in den Kombinationen Rot mit Blau und Braun mit Orange zeigten, verwendete man bei der Herstellung der turkmenischen Knüpfteppiche als Schmuckornamente Gols (göl,  türk.: Sec, Teich; gül, türk.: Rose, Blume), Medaillons in Form von Rcchtecken, Rauten oder Achtecken.

Alles, was über den Eigenbedarf hinaus produziert wurde, konnte auf den Basaren der näheren Umgebung zum Tausch oder Verkauf angeboten werden und gelangte über die Große Seidenstraße auch in das Land der Mitte und nach Europa. Und so bietet sich heute die Möglichkeit, schon in Berlin, Frankfurt oder Paris z. B. islamische Keramik zu studieren und sich ein recht gutes Bild von dem hohen Stand des Töpferhandwerks in Zentralasien und seiner zeitlichen Entwicklung zu machen.